Die geheimnisvolle Patientin Teil 1

Seit einigen Tagen war sie in diesem Krankenhaus, sie fiel auf. Sie hatte zwar kein Einzelzimmer;
reich schien sie nicht zu sein, mit ihren Mitpatientinnen auf der chirurgischen Station hatte sie
jedoch kaum Kontakt.
Bis auf eine Freundin, die einmal erschien und länger mit ihr redete, bekam sie keinen Besuch. Sie
schien allein zu sein. Bei Visiten verhielt sich die junge, etwa zwanzigjährige Frau völlig
undramatisch. Sonst meistens verließ sie ihr Bett, offensichtlich hatte sie keine Beschwerden,
lediglich hier und da mal irgendeine Untersuchung, die eher wie ein Alibi für ihren Aufenthalt hier
wirkten. So sah man sie mehr im Park, in der Raucherecke, auf den Gängen und vor allem
meistens in der Cafeteria, wo sie Cappuccino trank und zuweilen auch Martini, las oder einfach so
herumschaute. Recht groß gewachsen, hatte sie eine fabelhafte, sportliche Figur. Meistens trug sie
einfache T-Shirts und Shorts, was ihr ausgesprochen gut stand. Was am meisten auffiel, waren
ihre sehr langen und bemerkenswert schönen Beine.
Auf der Station hatte sie immer ein sehr kurzes Nachthemd an, worüber sich mindestens einer der
visitierenden Chirurgen sehr freute. Überhaupt, sie wurde gern angesehen, ob vom männlichen
Personal oder den männlichen Patienten. Auch den Frauen entging nicht ihr gewisses Etwas. So
war es kein Wunder, dass schon bald geredet wurde, wer sie wohl sei und warum sie hier ist. Ihre
Zimmergenossinnen wussten nichts, nur dass sie freundlich, aber zurückhaltend wäre. Sie
anzusprechen traute sich aber niemand.
Die Pfleger versuchten jedoch, etwas herauszubekommen. Von den Schwestern sagte keine
etwas, manche runzelten nur die Stirn bei indiskreten Nachfragen. Die Ärzte unterlagen der
Schweigepflicht. Aber irgendwann sickerte etwas durch. Doch das machte die junge Frau noch
geheimnisvoller, war es doch kaum zu glauben: Ihre Beine sollten amputiert werden!
Durch dieses Gerücht wurde die Hemmschwelle, mit ihr in Kontakt zu treten, noch höher. Die
Neugier wuchs: Wenn das stimmte, warum bloß? Die Beine sahen gesund, ja phantastisch aus,
das Mädchen war eine Schönheit, die durch nichts beeinträchtigt zu sein schien. Eine Patientin
von der Station setzte sich dann doch einmal zu ihr an den Tisch in der Cafeteria, erzählte dies
und das, und weshalb sie selbst da ist und fragte schließlich: „Sagen sie, sie müssen ja nicht
antworten, aber stimmt das mit ihren Beinen?" „Ja", sagte sie, ohne eine nähere Frage
abzuwarten oder zu provozieren, „ich bin hier, um mich operieren zu lassen." So richtig schlau
wurde daraus die Patientin nicht, beließ es aber dabei innerlich achselzuckend. Noch einmal
fragen wollte sie nicht. Doch einer der Pfleger tat es schließlich. Er hatte Interesse an der jungen
Dame als einer potentiellen Eroberung, die vielleicht noch irgendwie rechtzeitig gemacht werden
muss... Er war charmanter als je zuvor in seinem Leben, wartete nach Dienstschluss ab, um sich,
ihr einen Martini kredenzend, zu ihr zu setzen und ein Gespräch anzufangen: „Krank siehst du
eigentlich nicht aus, da dachte ich mir, ein Martini kann nicht schaden..."
„Oh, vielen Dank..." Sie klappte ihr Buch zu, streckte ihren ganzen Körper kurz und blickte
verdutzt, aber in Flirtlaune hoch:“Was verschafft mir denn diese Ehre?"
„Ach, du bist nun schon ein paar Tage hier, da bin ich langsam neugierig geworden. Hätte es
schade gefunden, dich hier irgendwann nicht mehr zu sehen, und die Zeit dann nicht genutzt zu
haben, dich kennenzulernen."
Sie rauchten und plauderten über dies und das. Sie hieß Jeanette und würde nächsten Monat
zwanzig werden. Aber dann würde sie hier wieder heraus und manches anders sein.
„Also," sagte Martin - so hieß der Pfleger -, „das würde ich nun doch gerne mal genauer wissen:
Es gibt ja hier so manches Gerede, was konkret soll bis zu deinem zwanzigsten anders sein?"
„Hm..., meine Länge."
„?"
„Ich möchte mich hier operieren lassen. Ich glaube, du wirst das nicht verstehen, es versteht kaum
jemand. Ich wollte eigentlich mit niemandem mehr darüber reden. Also gut, wenn du es unbedingt
wissen willst, und es spricht sich ja offenbar sowieso herum: in ein paar Tagen werden meine
Beine amputiert."
„Wirklich?", fragte Martin mit klopfendem Herzen, „Deine beiden Beine?" Dabei versuchte er einen
verstohlenen Blick unter den Tisch. "Nun glotze nicht so!", grinste sie, und fuhr dann ernst fort: „Es
ist alles nicht so einfach, und es hätte schon längst passiert sein sollen." Jeanette versuchte zu
erklären: „Naja, es schien schon alles klar gewesen zu sein, aber nun müssen doch noch ein paar
Dinge geklärt werden, rechtlicher Art; und z.B. an welcher Stelle genau die Beine am besten
abgeschnitten werden. Bestimmt sehr hoch; wahrscheinlich werden sie beide in der Hüfte exartikuliert.
Auf jeden Fall bleibe ich jetzt solange hier, bis sie abgenommen worden sind!" Das saß.
Es stimmte! Etwas hilflos fragte der Pfleger weiter: „Kann ich dir denn irgendwie helfen? Ich
meine ... warum denn nur? Was ist denn mit deinen Beinen?"
„Du wirst es nicht glauben, aber die sind völlig gesund. - Sag' ich ja, Du verstehst es nicht: Ich
möchte, dass sie abgenommen werden, möglichst komplett. Ich wünsche es mir schon seit meiner
Kindheit."
„Aber sie sind doch so wunderschön! Alle Frauen hier sind neidisch, alle Männer hier begehren sie,
und du willst sie nicht haben!"
„Sie sind für mich wie ein Fremdkörper. Ich weiß übrigens, dass sie schön sind. Ich habe mich sehr
um sie bemüht, damit ich vielleicht doch noch mit ihnen klar komme. Ich habe auch wirklich etwas
dabei gefunden, aber es ist bestenfalls, als wären es die Beine einer anderen Frau. Ich habe ein
Verhältnis zu ihnen, und sie haben mir gute Dienste geleistet, ich habe sie gern gezeigt, und das
mache ich auch jetzt hier und gegenüber dir, aber es hilft nicht: sie sind nicht meine eigenen
geworden."
„Also! - Ich finde es ganz schrecklich, so eine schöne Frau wie dich zu verstümmeln. Welcher
Chirurg hier tut denn so etwas überhaupt? Also, wenn ich den zu fassen kriege! Solch schöne
Beine einfach abzumachen und wegzuwerfen! Da hast du recht, das verstehe ich wirklich nicht!"
„In einem Punkt kann ich dich beruhigen, die Beine werden nicht einfach weggeworfen bzw.
verbrannt, wie das hier wie überall bei den Amputationen normalerweise der Fall sein dürfte. Ich
möchte sie gern erhalten - aber eben nicht als Teil meines Körpers. Da sie mir aber nun einmal
gehören, möchte ich bestimmen, was mit ihnen passiert. Das könnte ich nicht, wenn ich mich z.B.
auf die Bahnschienen legte, damit sie abkommen. Ich finde sie sehr schön, und deshalb sollen sie
konserviert werden."
„Aber sie sind doch so anziehend, weil du sie so toll bewegst!"
„Ja, das habe ich gelernt, um sie evtl. doch noch als meine annehmen zu können. Was das
'Verstümmeln' anbetrifft: Das ist es ja: ich komme mir vor, wie eine Rollstuhlfahrerin, die zu viel hat.
Meine Beine sind zu viel, ich fühle mich erst ohne meine Beine komplett."
„Hattest du vielleicht noch niemanden, der es dir richtig zeigt... also..." stammelte der Junge, „du
hattest doch bestimmt schon einen Freund, der deine Beine toll fand!"
„Ja," antwortet sie geduldig, „dem werde ich irgendwann vielleicht ein Bein schenken - mal sehen.
Aber schön war es mit ihm, weil er doch mich mochte. Es gibt übrigens Leute, die amputierte
Mädchen toll finden. Lass uns ein andermal weiter reden, ich finde, es ist jetzt genug. Danke für
den Drink!"
Und sie ging wieder auf ihr Zimmer. Einige hatten das Gespräch belauscht, und nun wurde
spekuliert, welcher der Chirurgen die junge Dame operieren würde, wann der Tag wohl kommt, ob
es überhaupt soweit kommen würde oder das Ganze doch nur ein skurriler Gag sei usw... Jeanette
war aber extra in diese Klinik gekommen, weil dort ein alter Freund arbeitete, zu dem sie Vertrauen
hatte. Sie waren sich näher gekommen, da war sie kaum 16 Jahre alt, er bereits kurz vor dem
Examen. Es durfte gar keiner wissen. Sie hatten eine kurze, aber schöne Zeit, ein gewisses
Prickeln war bis heute geblieben. Vielleicht gerade deshalb, weil sie von einander wussten: er,
dass sie gerne ihre Beine amputieren lassen würde, was sie ihm einmal des Nachts erzählte, und
sie - zunächst mehr als Ahnung - dass gerade er dies außerordentlich gern machen würde.
Published by fletch99
8 years ago
Comments
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fraenklin
Vielversprechender erster Teil. Wann darf man auf die Fortsetzung hoffen?
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silverdryver
Herrlich geschriebener Beginn
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